Kreta: Diskos von Phaistos entschlüsselt?


Der Diskos von Phaistos ist eines der bedeutendsten Fundstücke aus der Bronzezeit. Foto: TEI

Der Diskos von Phaistos ist eines der bedeutendsten Fundstücke aus der Bronzezeit. Foto: TEI

Es gibt nur wenige beschriftete Gegenstände der Minoer, die mehr Rätsel aufgeben als der Diskos von Phaistos. Kein anderes Schriftdokument aus minoischer Zeit zieht ein breiteres allgemeines Interesse auf sich. Die Scheibe aus gebranntem Ton und ist eines der bedeutendsten Fundstücke aus der Bronzezeit mit minoischer Schrift. Eine unbeschreibliche und intensive Faszination geht von dem Fund aus.

Der Diskos ist mit spiralförmig angeordneten Menschen-, Tier- und Pflanzenmotiven versehen, die mit einzelnen Stempeln eingedrückt wurden. Er stellt damit den ersten bekannten Druck mit beweglichen Lettern der Menschheit dar. Hier wurde ein kompletter Textkörper mit wiederverwendbaren Zeichen produziert. Dies stellt für die Zeit vor 3700 Jahren eine beispiellose Innovation dar.

Das älteste Zeugnis für den Gebrauch einer Schrift in Europa, wurde auf einem minoischen Steinsiegel gefunden. Das Objekt stammt aus der Mittelminoischen Phase (MMI) und ist aus dem Zeitraum 2100 bis 2000 v. Chr., das Siegel wurde bei Archanes entdeckt. Es ist etwa 400 Jahre älter als der Diskos.

Zurück zum Diskos von Phaistos: Er ist und bleibt einzigartig, da bislang kein weiteres Fundstück seiner Art entdeckt werden konnte. Es ist allgemein anerkannt, dass der Text spiralförmig, also vom Rand nach innen gelesen wurde. Die Tonscheibe hat 16 cm Durchmesser und ist etwa 2 cm dick, die beiden Seiten tragen insgesamt 242 Zeichen, die in 61 Gruppen unterteilt werden können.


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Fundort: Der minoische Palast von Phaistos

Der Diskos wurde 1908 bei Ausgrabungen im westlichsten Gebäude des Nordosttrakts des Alten Palastes von Phaistos entdeckt. Angefertigt wurde er zwischen 1700 und 1600 v. Chr., in der Periode Mittelminoisch III. Manche Forscher erweitern den Herstellungszeitraum des Diskos auf 1850 bis 1550 v. Chr., in Bezug auf die Nutzung der Fundstelle in der Zeit des Alten Palastes von Phaistos. Das weltweit einmalige Objekt befindet sich heute im Archäologischen Museum von Heraklion.

Die Faszination des Diskos führte zu zahllosen Übersetzungsversuchen, von Wissenschaftlern und Hobbyforschern, um dessen Geheimnis zu lüften. Doch blieb, vom materiellen Befund abgesehen, so gut wie alles im Ungewissen. Zwei Wissenschaftler vermelden nun grundlegende Fortschritte bei der Entzifferung.


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Neue Forschungsergebnisse zum Diskos von Phaistos

Der in Heraklion tätige, britisch-griechische Altertumswissenschaftler und Linguist Dr. Gareth Alun Owens vom Technological Educational Institute (TEI), hat gemeinsam mit John Coleman, Professor für Phonetik an der Universität von Oxford, nun bestätigt, dass der Diskus von Phaistos ein religiöser Text in minoischer Sprache ist. Sozusagen die heilige Schrift der Minoer. (Stand: Mai 2014)

Etwa 90 % der Linearschrift A können phonetisch mit ähnlich aussehenden Zeichen der Linearschrift B gleichgesetzt werden. Mit Verwendung der gleichen Prozedur, durch die die Linearschrift B entziffert wurde, behaupten die Forscher nun das Rätsel um den Diskos annähernd gelöst zu haben.

Entziffert wurde: Das Wort „Ique“ steht für Mutter oder Göttin, „Iqukurja“ für schwangere Mutter oder Göttin und „Iqepaje“ für die glanzvolle Mutter oder Göttin. Die Tonscheibe huldige damit der minoischen Schlangengöttin. Der Text ist eine Hymne an die große Mutter.

Insgesamt wurde, gemeinsam mit John Coleman, sechs Jahre daran gearbeitet um den Code der Inschrift zu entziffern. Die Forschungen am Diskos sind noch nicht abgeschlossen, denn momentan sind erst 90 % der A-Seite des Diskos lesbar, die Rückseite muss erst noch erforscht werden.

Zitat von Dr. Gareth Owens

Ich glaube, dass der Diskos von Phaistos die Heilige Schrift der Minoer war, so etwas wie ihre Bibel. Die Sprache ist nachranging, denn das wichtigste ist die absolut zeitlose Stimmung dieses Gebetes. Es enthält etwas über das Wesen der Menschen, das sich nicht ändert. Die Minoer verwendeten dieses Gebet für ihre persönliche Botschaften an die Göttin. Es klingt jetzt vielleicht seltsam, aber für mich hat der Text viele Gemeinsamkeiten mit dem Song „Because The Night“ von meiner Lieblings-Dichterin Patti Smith. Der Song von Patti erinnert mich an die Stimmung in diesem minoischen Gebet“.

Im Rahmen des TEDxHeraklion berichtet Dr. Gareth Owens über die neuesten Forschungsergebnisse zur Entzifferung des Diskos von Phaistos. Auf eine sehr fachkundige, kurzweilige, unterhaltsame Weise und mit einem wunderbaren englischen Humor. So faszinierend und spannend kann Forschung sein!

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung von der Entschlüsselung sind auf der Webseite des Technischen Bildungs-Instituts (TEI) von Kreta online verfügbar (Link unten). Am Ende des Videos kann man in Lautsprache hören, wie der Text und die Sprache der Minoer damals geklungen hat.

Das heißt im Klartext: Wir Westeuropäer können beispielsweise Texte in türkisch lesen, da es in lateinischen Buchstaben publiziert wird. Aber wir verstehen den Inhalt der türkischen Worte nicht, da wir die Sprache nicht gelernt haben. So in etwa ist der momentane Wissenstand zu den Texten auf dem Diskos. Wir kennen nur den Klang der Sprache und Worte, aber noch nicht ihren Inhalt.


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Info: Dr. Gareth Alun Owens

Dr. Gareth Alun Owens, (* 21. Februar 1964) ist ein britisch-griechischer Altphilologe, Klassischer Archäologe und Mykenologe. Gegenwärtig ist er Erasmus-Koordinator der EU im International Relations Office des Technological Educational Institute (TEI) in Heraklion auf Kreta, und zugleich Professor für die Geschichte Kretas dort tätig.

Zuvor war er in der Abteilung für Sprachwissenschaft der Universität Athen tätig, um die Inschriften der minoischen Hieroglyphen aus der ersten Palastperiode einschließlich des Diskos von Phaistos zu untersuchen.

Owens hat eine neue Hypothese zur Entzifferung der Linear A-Schrift aufgestellt. Danach entsprechen etwa 90 % der Linear A-Schriftzeichen in ihrer Aussprache den Linear B-Schriftzeichen. Lediglich zehn Schriftzeichen finden keine Entsprechung in der Linear B-Schrift, so dass sich über ihre Aussprache und Bedeutung nur spekulieren lässt.

Aufgrund seiner Forschungen konnten mehrere, für die Archäologen wichtige minoische Ortsnamen definiert werden, die auch in der Linear B-Schrift vorkommen. Zusätzlich gibt Owens an, Belege in der Grammatik und Vokabular festgestellt zu haben, die die Minoische Sprache der Linear A als einen deutlichen Zweig der indogermanischen Sprache ausweisen, mit Verbindungen zum altindischen Sanskrit, Armenisch und Griechisch. Website: Dr. Gareth Owens

Interview mit Dr. Garth Owens auf cretazine.com


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Gareth Owens zu den Forschungen auf Antikythera

Dr. Gareth Owens erwähnt zusätzlich die zielführenden und erfolgreichen Zusammenarbeiten von Forscherteams, die zu völlig überraschenden Erkenntnissen über den Antikythera Mechanismus, der auch Computer der Antike genannt wird, führten.
Lest dazu unsere Reportage: Das Wrack von Antikythera und die neue Expedition 2014/15


Patti Smith: Because The Night

Zum Schluss (damit es nicht zu wissenschaftlich wird) der von Dr. Owen favorisierte Song von Patti Smith „Because The Night“, Live – aus dem Jahr 1978.

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Reiseberichte aus Griechenland, Italien, Österreich, Deutschland
Kreta: Diskos von Phaistos entschlüsselt?
Thema:
Kreta: Diskos von Phaistos entschlüsselt?
Beschreibung:
Der in Heraklion auf der Insel Kreta tätige Dr. Gareth Alun Owens hat 2014 bestätigt, dass der Diskos von Phaistos ein religiöser Text. Dieser wurde in der Schrift Linear-A, einer bislang nicht vollständig entzifferten minoischen Sprache abgefasst.
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Monika Hoffmann

schreibt Foto-, Natur- und historische Reportagen aus Griechenland, Italien, Österreich, Deutschland mit Schwerpunkt München und Bayern. Passion auf Reisen: Geschichte und archäologische Plätze. Spezialgebiete: Ur- und Frühgeschichte & Antike Hochkulturen. Die Fotografin, Redakteurin, Köchin, Naturfreundin liebt Griechenland, Italien und ihre Heimat Oberbayern: Über die Geschichte bis zu Musik, Literatur, Filmkunst.

13 Kommentare:

  1. Dipl.-Ing. Wenzel, Hermann, Architekt/Archäologe

    Archäologen und seriöse Sprachforscher haben eine Entzifferung des Diskos längst aufgegeben: als Unikat zu wenig Material für statistische Methoden. Nun bemühen sich weiterhin Liebhaber um das außergewöhnliche Artefakt. Zu diesen zählen auch Owens und Co. Ihre Ansätze scheinen interessant, manchem gar überzeugend, weil sie brillant vorgetragen werden. Aber solche tastenden Interpretationen des Bildhaften der Zeichen und Zeichengruppen mit Übertragung in Sprache haben mit Wissenschaftlichkeit, die von jedermann nachvollzogen werden kann, nichts zu tun.
    Wissenschaftlich sind indes Arbeiten, die auf einer exakten Beobachtung der Verteilung der Zeichen nach Häufigkeit und Gruppengrößen, sowie einer inhaltlich fundierten Unterscheidung der Zeichen beruhen (Abstrakta, Mensch/Tier, Sachen/Pflanzenteile). Es zeigen sich bei solcher Analyse überaus komplexe Strukturen als geometrische und arithmetische Symmetrien, sodass Sprache, die Derartiges berücksichtigen müsste, undenkbar ist.
    Bei Interesse lesen Sie weiter im Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel Stiftung: lisa.gerda-henkel-stiftung.de/search?search_str=Diskos+von+Phaistos

  2. Eberhard Herold

    Wunderbarer Artikel/Post! Höchst interessant!

    • Hallo Eberhard,

      herzlichen Dank dafür! Der Diskos und überhaupt das minoische Linear A sind spannende Forschungsthemen. Für uns Kreta-Reisende ein höchstinteressantes Terrain.

      Viele Grüße, Monika

  3. Bestätigungen klingen immer sehr nach Absolutheit und für die kann sich auch Dr. Owens nicht verbürgen. Eine spannende und weiter verfolgenswerte Theorie mehr, aber eben nur eine Theorie. Um es mal mit den Worten von Jorgos Pothos (Student bei Iannis Sekellarakis und Fremdenführer im Palast von Malia) zu sagen: “ Wir wissen so gut wie nichts bis relativ wenig von der minoischen Geschichte“. Im Buch „Der Diskos von Phaistos“ von Thomas Balistier – ISBN 3 -9806168-1-9 werden verschieden Theorien aufgezeigt. Sehr umfassend, dezidiert und sämtliche Betrachtungsweisen nachvollziehend dazu auch das Buch von Louis Godart „Der Diskus von Phaestos“ – ISBN 960 – 7549-01-5 und wertvolle Anregungen auch bei den drei Bänden der Leseanweisungen zum Diskus von Phaistos von Friedhelm E. Will.
    Mich beschäftigt das Fundstück seit 27 Jahren, ich unterhalte mich seit 1998 jährlich mit Jorgos und Friedhelm wegen neuen Ansätzen zu dessen Entschlüsselung.
    Solange aber zu diesem einen Teil mit diesen Schriftzeichen keine weiteren derartigen gefunden werden, dürfte eine komplette Deutung kaum möglich sein.
    Also wünschen wir den Ausgräbern von Akrotiri auf Thera viel Glück, dass sie fündig werden mögen. Ich denke, dass es dort am ehesten möglich sein sollte, aufgrund der luftdichten Versiegelung infolge des Vulkanausbruches, relativ unbeschädigte und lesbare Dokumente zu finden. Auf das die Mystik Kretas erhalten bleibt, aber vielleicht ein Stück weiter entmystifiziert werden kann.

    ola kala kai pollous chairetismous Agapis

    Dhigenis

    • Kalimera Dhigenis,

      vielen herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar zu unserem Bericht. Ich werde mich mit den von Ihnen erwähnten Fachbüchern demnächst beschäftigen. Nun ja, wir sind natürlich keine „Fachleute“ oder auch Professoren in diesem Gebiet. Das immer wieder aufflammende Interesse, auch in TV-Dokus, über den Diskos von Phaistos, hat uns zu diesem Bericht inspiriert. Für mich und meinen Mann kann ich dazu sagen: Seit unserer ersten Kreta-Reise in den 1980er-Jahren beschäftigen wir uns immer wieder mit Linear-A und auch Linear-B Schrift. Alte unentschlüsselte Glyphen sind und bleiben ein spannendes, ja fast magisches, Thema – auch für Laien.

      Schöne Grüße aus dem winterlichen München,
      Monika Hoffmann

  4. Hallo,

    gibt es die entschlüsselten Laute auch zum nachlesen?

    VG

  5. Angelika Thun

    Ich würde die Zeichen als „Rongo-Rongo“ -Sprache ansehen. Gesprochen u.a. auf
    Mangareva (Französisch-Polynesien) und auf der Osterinsel.

    Mit freundlichen Grüßen
    Angelika Thun

  6. ich bin kein fachmann aber für mich sieht das wie ein stundenplan aus. oder ein lehrplan, oder ein ausbildungsprotokoll. die einzelnen zeichen symbolisieren handlungen oder themen. z.b. könnten die symbole einen schwerpunkt ausdrücken und gruppiert mit anderen symbolen das wochenziel oder prüfungsinhalt ausdrücken.

    beispiele:
    fussgänger – drill/ertüchtigung/grüntag
    pferdefuß – reiten
    tiara – tempeldienst
    bogen/pfeil/keule/axt/schleuder/wurfholz – waffenkunde kampfkunst
    schiff – nautische themen
    pflanzen und werkzeugsymbole – handwerksausbildung/wirtschaftslehre
    dreieck – lesen u. schreiben
    usw…

    tiersymbole könnten für teams oder lehrer stehen.
    mann/frau/kind/glatzkopf/schopfkopf könnten die teilnehmer sein

    ich denk das ding stammt von der prinzenschule und oder agenten/elite/offizier akademie am minoischen hof!

    • Interessante Sichtweise, die aufgeführten Beispiele sind ganz nahe bei den Betrachtungen von Dr. Owens, der sagt dass der Text ein Hymnus oder Gebet ist. Wir sind ebenfalls keine Linguistiker oder Kryptologen. Der Diskos von Phaistos fasziniert uns seit über 20 Jahren. Die Ergebnisse von Dr. Owens fanden wir so spannend, dass wir uns für einen Blogeintrag entschieden. Es ist der einzige zu seinen Ergebnissen in deutscher Sprache. Zugegeben, es war schon die Übersetzung der Fachartikel aus dem englischen eine kleine Herausvorderung. 🙂
      Im Februar 2016 wurde von ARTE eine informative Doku ausgestrahlt, auch Dr. Owens ist dabei! Hier der Link aus der Mediathek: http://www.arte.tv/guide/de/057844-000-A/das-geheimnis-von-phaistos
      Viele Grüße, Monika

    • Hallo Josef. Deine Theorie ist äußerst interessant. Ich dachte ähnlich, auch dass es eine Art Kalender ist, da einmal 30 Abbildungen und auf der anderen Seite 31 unterteilte Abbildungen sind.

  7. Dipl.-Ing. Hermann Wenzel

    Das Vorurteil, dass der Diskos von Phaistos ein Sprachwerk sei, hat eine wissenschaftlich exakte Analyse der Zeichenverteilung auf den beiden Seiten des Diskos bei den meisten Forschern bisher verhindert.. Sonst hätte man trotz des chaotischen Ersteindrucks die überbordende numerische Ordnung der Zeichenverteilung und der 61 (= 5 x 5 + 6 x 6) Zeichengruppen entdecken müssen. Z.B. dass 44 Zeichen einseitig sind und dass jede Seite 99 Zeichen hat, die auch auf der anderen Seite auftreten oder dass fortlaufend jede 2. Zeichengruppe das Inventar der Zeichen halbiert (121 : 121) oder dass 3- und 4-stellige, 5- und 6-stellige sowie 7- und 2-stellige Zeichengruppen paarweise einem Vielfachen von 11 entsprechen, etc, etc.
    Und aufgrund dieser numerischen Ordnung, die ganz wesentlich auf einem ständig wiederkehrenden Vielfachen von 11 Zeichen basiert, stellt sich die Frage, ob und wie Sprache in derart engmaschig organisierten numerischen Strukturen noch realisiert sein könnte. – Siehe Publikationen von Hermann Wenzel im Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf.
    (Zu finden bei Google).

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