Wer weiß schon, dass im Westen von München Steppenpflanzen wachsen, die teilweise vom Aussterben bedroht sind? Ein botanischer Spaziergang im Gleislager Neuaubing zählt sicherlich zu einem der ungewöhnlichsten im Münchner Stadtgebiet. Wir kommen gerne in das Biotop, denn jeder Rundgang hat seinen eigenen Reiz im Wechsel der Jahreszeiten. Das etwa 12 Hektar große Stadt-Biotop ist das bekannteste und am besten untersuchte in Bayern.
Als Paradebeispiel für die Artenvielfalt in Naturflächen aus zweiter Hand gilt das Gleislager Neuaubing, berühmt für seine Pflanzenwelt. Das eher kleine Areal ist nicht etwa eine landschaftlich besonders schöne Gegend. Die einstigen Gebäude- und Gleisanlagen des Ausbesserungswerks in Neuaubing wurden in den 80er-Jahren abgetragen, das Areal blieb danach weitgehend sich selbst überlassen.
Heute befinden sich hier überwiegend Gleisschotter aus Granit, Betonwege und vereinzelt Gleisschwellen aus Holz. Eine Herausforderung für die Pflanzenwelt, die mit einer langsamen Boden- und Humusbildung und schnell abfließendem Regenwasser konfrontiert wird. Bevorzugt haben sich hier auf Mager- und Steppenrasen spezialisierte Pflanzen angesiedelt.
Die Faszination des Biotops im Gleislager Neuaubing bildet der Kontrast, zwischen einer vormals vom Menschen genutzten Fläche und der überwältigenden Kraft der Natur, sich diesen Lebensraum zurückzuerobern.
Wir kommen bevorzugt im Frühling und Sommer, zum Fotografieren der farbenprächtigen Blütenteppiche. Aber auch zum Beobachten der vielen Insekten, wie z. B. Bienen, Hummeln, Grashüpfern, Faltern und Schmetterlingen. Wer sich Zeit nimmt kann sicherlich Mauereidechsen (Podarcis muralis), trällernde Lerchen (Lullula arborea) oder sogar Kaninchen entdecken.
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An den Rändern des Biotops haben sich inzwischen kleine schattige Wäldchen mit Birken gebildet. Außerdem konnten wir verschiedene Hartriegelgewächse, Mispeln, Kiefern, Eichen, Ulmen, Heckenrosen und Büsche mit Brombeeren entdecken.
Wir fühlen uns hier im Sommer wie in der mongolischen Steppe. Im Winter übt das Areal die Anmutung der russischen Trundra aus. Übrigens: Das weltweit größte zusammenhängende Steppengebiet bildet die Eurasische Steppe, die von West nach Ost sechstausend Kilometer zurücklegt. Sie beginnt in Ungarn und verläuft über Rumänien, die Ukraine, Russland, Kasachstan, die Mongolei bis nach China.
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Naturschutz im Gleislager Neuaubing? Hier wäre mehr möglich!
Die Pflege des Biotops im Gleislager Neuaubing erfolgt ehrenamtlich durch die Ortsgruppe München West vom Bund Naturschutz in Bayern, in Form einer Teilmahd und der erforderlichen Müllentsorgung.
Die massiven baulichen Veränderungen der letzten Jahre waren sicherlich nicht zum Vorteil des Areals. Dazu zählen: Der angrenzende Möbel Höffner (seit 2008), der neu entstehende Stadtteil Freiham, die Tennisplätze des ESV Neuaubing (im Nordteil des Biotops).
Zusätzlich entsteht direkt daneben das Stadtquartier Gleisharfe, mit etwa fünfhundertfünfzig Wohnungen und zwei Kindertagesstätten. Von den insgesamt neun Baufeldern sind sechs inzwischen verkauft (Stand: August 2016). Laut Landesbund für Vogelschutz (LBV) und Bund Naturschutz (BN) können nur Schutzgebiete wertvolle Naturflächen erhalten.
Die Stadt München könnte das Biotop im Neuaubinger Gleislager als geschützten Landschaftsbestandteil ausweisen. Dadurch wäre es vor Bebauung geschützt und es könnten Regelungen geschaffen werden, die sich der wachsenden Großstadt anpassen.
Zusammen mit einer Schutzverordnung könnte ein Plan entwickelt werden, der Naturschutz und Angebote für Erholungssuchende verbindet. Leider ist diesbezüglich noch nichts geschehen. Eigentlich müsste diesbezüglich doch mehr möglich sein. Eines ist sicher, die Neuaubinger werden weiter das Biotop besuchen, die Zuzügler werden ebenfalls kommen – und das sollen sie auch.
Um das Ökosystem im Gleislager Neuaubing zu schützen, könnten wir uns eine parkähnliche Umgestaltung gut vorstellen. Im Park würde eine Wegführung das Betreten der empfindlichen Wiesenflächen eingrenzen, dazu ermöglichen Beobachtungstürme eine Übersicht ohne zu „stören“ und es sollten Parkbänke und Mülleimer aufgestellt werden. Dadurch könnte das Biotop mit einer wertvollen Erholungsnutzung für die Münchner kombiniert werden. Für eine Vielfalt der Natur in München!
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Geschichte des Eisenbahn-Ausbesserungswerks in Neuaubing
Für die Reparatur von Zügen der Königlich Bayerischen Staatsbahn beschloss der Bayerische Landtag 1899 den Bau einer Zentralwerkstätte in München. Reichsrat Hugo von Maffei verkaufte der Staatsbahn ein Grundstück. Ab 1902 wurde Wald gerodet und mit Werkshallen bebaut.
Ursprünglich war das Werk für die Ausbesserung von Güterwagen bestimmt, doch schon 1908 kam zusätzlich die Ausbesserung von Personenwagen hinzu.
Erweitert wurde die Anlage ab 1907 um eine Weichenwerkstätte. 1921 bis 1926 folgte eine eigene Personenwagen-Reparaturhalle, 1930 bis 1936 entstand eine Kantine, 1940/1941 eine Lehrwerkstätte.
Im Ersten Weltkrieg wurde in der Zentralwerkstätte Neuaubing auch Kriegsmaterial hergestellt. 1913 lag die Zahl der Beschäftigten noch bei etwa 550, im Jahr 1932 waren hier bereits etwa 1150 Personen beschäftigt. Mit Gründung der Reichsbahn wurde die Zentralwerkstätte zum Reichsbahn-Ausbesserungswerk – RAW Neuaubing.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das RAW Neuaubing zum kriegswichtigen Betrieb: Neben Reparaturarbeiten mussten Kriegssonderleistungen erbracht werden: Einrichtung und Ausbesserung von Sonderfahrzeugen für Reichsbahn und Wehrmacht wie z. B. der Bau von Lazarettzügen.
Ab 1942 waren hier insgesamt 2480 Personen beschäftigt, darunter erstmals auch mehrere hundert Frauen. 1943 lag die Zahl ausländischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener bei über 800 Menschen. Im Sommer 1944 wurde das Werk bei Luftangriffen getroffen, bereits nach wenigen Monaten wurde der Betrieb wieder aufgenommen.
Im Jahr 1967 wurde die Weichenwerkstätte verlegt, vorher wurden hier beschädigte Weichen und Baustoffe gelagert. Eine Werksschließung wurde 1969 durch Beschränkung auf Reisezugwagenreparatur und Personalabbau abgewendet. 1972 brannte eine Reparaturwerkstätte aus und musste teilweise abgebrochen werden.
Bis 1980 diente das Areal noch als Gleislager, danach wurden die Gleisanlagen teilweise oder vollständig abgebaut. Das Gelände blieb über Jahrzehnte sich selbst überlassen, so dass sich eine reiche Artenvielfalt an Flora und Fauna entwickeln konnte.
Im Sommer 2001 beschloss der Vorstand der Deutschen Bahn die Schließung des Werks bis Jahresende. Im Jahr 2008 wurden die Gebäude des ehemaligen RAW-Neuaubing unter Denkmalschutz gestellt. Die Werkshallen wurden komplett renoviert und werden mittlerweile gewerblich genutzt, z. B. durch die Kletterhalle „Boulderwelt München West“ oder dem Indoor-Spielplatz „Wichtelwerk“.
Die Informationen zur Geschichte des Eisenbahn-Ausbesserungswerks in Neuaubing haben wir teilweise der Broschüre KulturGeschichtsPfad, Stadtbezirk 22: Aubing-Lochhausen-Langwied, der Landeshauptstadt München entnommen. Pdf-Download unter: www.muenchen.de
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Buchtipp
Blütenwanderungen in Oberbayern: Die schönsten Streifzüge zu besonderen Pflanzen, von Martin Wiesmeier, AT Verlag, 1. Auflage – 2011. Das Buch bietet 30 schöne Touren zu botanischen Kostbarkeiten im Raum München, Garmisch und Salzburg. Auch der Mesnerbichl ist dabei mit dem Kapitel „Berghähnlein am Mesnerbichl, Unterwegs in der Moränenlandschaft um Andechs“.
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